Wie mächtig ist das Begnadigungsrecht des US-Präsidenten?

Auf indirektem Wege kann der US-Präsident sich sogar selbst begnadigen.

Verfasst von: Gregory Korte, Bloomberg

Übersetzung: Luffy, Foresight News

US-Präsident Donald Trump unterzeichnet im Oval Office des Weißen Hauses in Washington eine Reihe von Exekutivanordnungen, darunter eine Begnadigung

Das Begnadigungsrecht des US-Präsidenten ist eine der absolutesten und zugleich am meisten missverstandenen Bestimmungen der Verfassung. Wie Alexander Hamilton sagte, stammt diese Macht aus dem Gnadenprivileg der englischen Könige des 7. Jahrhunderts. Die Gründerväter der USA wollten dem Präsidenten durch die starke Begnadigungsmacht einen unkomplizierten Weg bieten, um unglücklich Verurteilten im Justizsystem einen Ausweg zu ermöglichen.

Heute ist diese Macht ebenso umstritten wie die Personen, die sie ausüben. Präsident Donald Trump erließ am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit eine weitreichende Begnadigung für die Verurteilten des Kapitolsturms vom 6. Januar 2021.

Trumps Vorgänger Joe Biden hingegen begnadigte wenige Wochen vor seinem Ausscheiden seinen Sohn Hunter wegen Steuer- und Waffenvergehen. Er gewährte zudem fünf weiteren Familienmitgliedern eine sogenannte „Generalbegnadigung“, da er befürchtete, sie könnten während Trumps Amtszeit ungerecht verfolgt werden; ebenfalls begnadigt wurden Regierungsbeamte, die Trump als politische Feinde betrachtete und mit Strafen bedrohte.

US-Präsident Donald Trump hält am 25. März nach der Unterzeichnung einer Begnadigung im Weißen Haus eine Rede

Was ist eine Begnadigung?

Eine Begnadigung ist eine rechtliche Vergebung einer Straftat, die vom Präsidenten, Gouverneur oder einer anderen Exekutivbehörde gewährt wird. In einigen US-Bundesstaaten muss der Gouverneur diese Macht mit einem Begnadigungsausschuss teilen, aber für Bundesvergehen liegt das Begnadigungsrecht ausschließlich beim Präsidenten.

Eine Begnadigung hebt die Verurteilung nicht auf, das Strafregister bleibt bestehen; sie ist auch keine Aussage über Schuld oder Unschuld der Person. Die Begnadigung ist Teil des umfassenderen Exekutivrechts des Präsidenten und umfasst auch mildere Maßnahmen wie:

• Strafminderung: Verkürzung der Haftdauer, aber alle anderen Folgen der Verurteilung bleiben bestehen;
• Bewährung: Aufschub der Strafvollstreckung;
• Geldstrafenerlass: Reduzierung oder Erlass von Geldstrafen.

In der heutigen Zeit sind Bewährung und Geldstrafenerlass eher selten.

Wie oft übt der Präsident das Begnadigungsrecht aus?

Mit Ausnahme der beiden während der Amtszeit verstorbenen Präsidenten William Henry Harrison und James Garfield haben alle Präsidenten das Begnadigungsrecht ausgeübt. Seit George Washington erstmals eine Begnadigung für das „Schmuggeln von Rum aus Barbados in Fässern unter 50 Gallonen“ erteilte, haben die Präsidenten insgesamt fast 35.000 individuelle Begnadigungen ausgesprochen.

In den letzten Jahrzehnten wurde diese Macht seltener genutzt, meist um Feiertage herum oder am Ende der Amtszeit.

Biden hingegen war ein aktiver Begnadiger. Vor seinem Ausscheiden entließ er 1.499 Straftäter aus dem Hausarrest, darunter einige wegen Korruption Verurteilte, milderte 37 Todesurteile und verkürzte die Haftstrafen von 2.490 Drogenverurteilten, die seiner Meinung nach zu hart bestraft wurden.

Bis zum letzten Tag seiner Amtszeit unterzeichnete Biden 79 Begnadigungen und 4.168 Strafminderungen und wurde damit zum Präsidenten mit der häufigsten Ausübung des Exekutivrechts in der US-Geschichte – allein in einer Amtszeit mehr als die sieben Vorgänger zusammen.

Warum übt der Präsident das Begnadigungsrecht aus?

Mit einer Begnadigung vermittelt der Präsident meist seine Ansichten zu Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Normen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten.

Die Listen der Begnadigten lesen sich wie eine Sozialgeschichte Amerikas: Präsidenten bemühten sich stets, alte Konflikte zu überbrücken und das Land mit seiner strafenden Vergangenheit zu versöhnen. Nach Kriegen, Aufständen, der Prohibition oder dem Krieg gegen Drogen folgten oft Jahre oder Jahrzehnte später Wellen von Begnadigungen.

Führer der „Proud Boys“ und „Oath Keepers“, die am 6. Januar 2021 am Aufruhr beteiligt waren, bei einer Pressekonferenz am 21. Februar auf dem Capitol Hill in Washington

Trumps Begnadigungen für Teilnehmer des Kapitolsturms haben klare historische Vorbilder. In den 1790er Jahren begnadigte Präsident Washington zehn Anführer der „Whiskey-Rebellion“, die wegen Hochverrats verurteilt worden waren; Abraham Lincoln und Andrew Johnson begnadigten Soldaten der Konföderierten, Gerald Ford begnadigte deren General Robert E. Lee.

Manche Begnadigungen gelten als eigennützig motiviert. Präsident Richard Nixon begnadigte den einflussreichen Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa, der wegen Einflussnahme auf Geschworene und Betrug verurteilt worden war und später Nixons Wiederwahl unterstützte; Präsident Bill Clinton begnadigte den Finanzier Marc Rich, dessen Frau eine wichtige Wahlkampfspenderin war und der zuvor wegen Steuerhinterziehung und Öldeals mit dem Iran während eines Embargos angeklagt war; am 23. Oktober begnadigte Trump Binance-Gründer Zhao Changpeng, der wegen Versäumnissen beim Aufbau wirksamer Anti-Geldwäsche-Mechanismen auf der Kryptobörse vier Monate in Bundeshaft verbüßte. Zuvor waren Zhao Changpeng und Binance bereits Hauptunterstützer des Trump-Familien-Krypto-Projekts World Liberty Financial geworden.

Welche Einschränkungen gibt es für das Begnadigungsrecht?

Die Gründerväter legten bei der Schaffung des Begnadigungsrechts Wert auf möglichst wenige Bedingungen. Hamilton schrieb, diese Macht solle möglichst wenig eingeschränkt werden.

Der Supreme Court entschied, dass das Begnadigungsrecht eine ausdrücklich in der Verfassung verankerte Macht des Präsidenten ist und Einschränkungen (falls vorhanden) nur aus der Verfassung selbst stammen dürfen.

Mit anderen Worten: Solange keine anderen Verfassungsbestimmungen verletzt werden, ist eine Begnadigung gültig. Solche verfassungswidrigen Fälle sind extrem selten: Manche Kommentatoren meinen, eine Begnadigung im Austausch für Bestechung könnte ungültig sein, aber das ist nicht abschließend geklärt.

Die Verfassung nennt zwei klare Einschränkungen: Erstens kann der Präsident nur Bundesvergehen begnadigen, nicht aber bei Straftaten auf Bundesstaatsebene eingreifen; zweitens – mit Ausnahme von Amtsenthebungsverfahren – darf der Präsident das Begnadigungsrecht nicht nutzen, um sich selbst oder andere Beamte der Absetzung durch den Kongress zu entziehen.

Kann eine Begnadigung des Präsidenten widerrufen werden?

Kongress und Gerichte können eine präsidiale Begnadigung nicht aufheben, aber solange das Begnadigungsdokument nicht zugestellt und vom Begnadigten angenommen wurde, kann der Präsident die Begnadigung widerrufen.

2008 begnadigte Präsident George W. Bush den Immobilienentwickler Isaac Toussie, der wegen Postbetrugs verurteilt worden war. Einen Tag später, nachdem Bush erfuhr, dass Toussies Vater an die Republikaner gespendet hatte, widerrief er die Entscheidung und ordnete an, das Begnadigungsdokument nicht zuzustellen. Da Toussie die Unterlagen nie erhielt, trat die Begnadigung nicht in Kraft.

Ein Präsident kann auch versuchen, nicht zugestellte Begnadigungen seines Vorgängers zu widerrufen. 1869 begnadigte Präsident Andrew Johnson drei wegen Betrugs verurteilte Personen, doch wenige Tage später trat Ulysses S. Grant sein Amt an und rief die US-Marshals zurück, die die Dokumente zustellen sollten – die Begnadigungen wurden zurückgezogen.

Kann der Präsident sich selbst begnadigen?

Die meisten Rechtsexperten meinen, das sei nicht möglich, unter anderem wegen des Wortlauts des Begnadigungsrechts. Die Verfassung gibt dem Präsidenten das Recht, Begnadigungen zu „gewähren“, was „geben“ oder „übertragen“ bedeutet – die Begnadigung muss also einer anderen Person gewährt werden. Außerdem stellte das Justizministerium 1974 kurz vor Nixons Rücktritt in einem Rechtsgutachten fest, dass nach dem Grundsatz „Niemand kann Richter in eigener Sache sein“ der Präsident sich nicht selbst begnadigen kann. Letztlich begnadigte Präsident Ford Nixon für alle möglichen Vergehen im Zusammenhang mit Watergate.

Dieses Problem wurde jedoch nie gerichtlich geprüft, und selbst Gegner der Selbstbegnadigung räumen ein, dass es eine offene Frage bleibt. Es gibt jedoch einen Umweg: Der Präsident kann die Macht vorübergehend an den Vizepräsidenten übertragen, der dann als amtierender Präsident die Begnadigung ausspricht.

Kann man im Voraus begnadigen?

Der Präsident kann keine Begnadigung für noch nicht begangene Straftaten aussprechen – das käme einem Freifahrtschein gleich.

Für bereits begangene, aber noch nicht angeklagte Straftaten kann der Präsident jedoch begnadigen. 1866 entschied der Supreme Court im „Garland-Fall“ (betreffend einen Soldaten der Konföderierten), dass das Begnadigungsrecht für alle gesetzlich definierten Straftaten gilt und jederzeit nach der Tat ausgeübt werden kann – egal ob vor, während oder nach einem Gerichtsverfahren oder einer Verurteilung.

Was ist eine „Generalbegnadigung“?

Der Präsident muss bei einer Begnadigung keine konkreten Straftaten angeben – das ist dann eine „Generalbegnadigung“. Das bekannteste Beispiel ist Fords Begnadigung für Nixon, die alle während seiner Amtszeit begangenen Straftaten abdeckte.

Biden begnadigte vor seinem Ausscheiden ebenfalls Familienmitglieder und Beamte, die Trump als Feinde betrachtete – auch das war eine Generalbegnadigung. Zu den begnadigten Verwandten gehörten drei Geschwister und deren Ehepartner; unter den Beamten waren General a.D. Mark Milley, der Infektionsexperte Anthony Fauci sowie Mitglieder und Mitarbeiter des Untersuchungsausschusses zum Kapitolsturm, die eine Anklage gegen Trump empfohlen hatten.

Der ehemalige US-Präsident Joe Biden unterzeichnet eine Exekutivanordnung im Weißen Haus

Zu den Ausschussmitgliedern gehörten die ehemalige republikanische Abgeordnete Liz Cheney aus Wyoming (die die Untersuchung leitete) sowie der heutige demokratische Senator Adam Schiff aus Kalifornien (der Trumps erstes Amtsenthebungsverfahren leitete). Biden begnadigte auch Polizisten des Kapitols und der Metropolitan Police von Washington, die vor dem Ausschuss ausgesagt hatten.

Biden begnadigte seinen Sohn Hunter nicht nur für die bereits verurteilten Waffen- und Steuervergehen, sondern auch für alle anderen möglichen Straftaten der vergangenen 11 Jahre.

Trump begnadigte in seiner ersten Amtszeit ebenfalls mehrere Verbündete, darunter den ehemaligen Politikberater Stephen Bannon und Albert Pirro Jr., den Ex-Mann der Fox-News-Moderatorin Jeanine Pirro.

Bedeutet die Annahme einer Begnadigung ein Schuldeingeständnis?

Nein. Präsidenten begnadigen oft Menschen, die sie für unschuldig oder ungerecht behandelt halten. So begnadigte Trump posthum den Boxer Jack Johnson, der 1913 wegen „unmoralischer“ Frauenbeförderung über Staatsgrenzen verurteilt wurde – ein Vorwurf, der oft rassistisch motiviert war; Biden begnadigte Soldaten, die gegen das inzwischen aufgehobene Verbot homosexueller Handlungen in der Armee verstoßen hatten; in seinen letzten Begnadigungen sprach er Marcus Garvey frei, einen schwarzen Nationalisten, der 1923 wegen Postbetrugs verurteilt wurde – Bürgerrechtler sehen darin eine rassistisch motivierte Anklage.

Die verbreitete Annahme „Begnadigung bedeutet Schuldeingeständnis“ stammt aus einem Urteil des Supreme Court von 1915 im Fall „Burdick v. United States“, wonach eine Begnadigung eine Schuldvermutung impliziert und deren Annahme einem Schuldeingeständnis gleichkommt. Präsident Ford trug dieses Urteil stets bei sich, um seine Begnadigung Nixons zu rechtfertigen.

Spätere Gerichte betrachteten die Schuldvermutung jedoch nicht als Kernaussage des Burdick-Urteils; vielmehr war der Kern, dass ein Begnadigter das Recht hat, eine Begnadigung abzulehnen.

Muss eine Begnadigung schriftlich erfolgen?

Im Februar 2024 entschied ein Bundesberufungsgericht: „Die Antwort ist eindeutig nein. Der Wortlaut der Verfassung sieht keine solche Einschränkung vor.“

Praktisch und historisch ist es jedoch sicherer, eine schriftliche Aufzeichnung zu haben. Im genannten Urteil von 2024 entschied das Berufungsgericht des vierten Bezirks, dass Trumps mündliche Zusage an den ehemaligen Cleveland-Browns-Runningback Jim Brown „Ich kümmere mich darum“ und „Ich möchte, dass das klappt“ nicht ausreichte, um einen wegen Drogenhandels und Mordes zu lebenslanger Haft verurteilten Mann freizulassen.

Muss der Präsident den Begnadigten namentlich benennen?

Nein. Es gibt in der Geschichte auch Sammelbegnadigungen für alle, die wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden. So begnadigte Präsident Jimmy Carter nach dem Vietnamkrieg Deserteure, Biden erließ Sammelbegnadigungen für Cannabis-Delikte. In solchen Fällen können Betroffene beim Office of the Pardon Attorney im Justizministerium ein Zertifikat beantragen, das ihre Begnadigung bestätigt.

Anzahl der beim Office of the Pardon Attorney des Justizministeriums anhängigen Anträge auf Präsidentenbegnadigung nach Haushaltsjahr

Wie erhält man eine Begnadigung?

Es gibt zwei Wege zur Begnadigung:

Der erste ist der von Präsident Barack Obama bevorzugte Weg. Antragsteller müssen einen Antrag beim Office of the Pardon Attorney einreichen. Dieses verlangt in der Regel eine Wartezeit von fünf Jahren und bearbeitet keine posthumen oder Bagatellbegnadigungen. Nach einer gründlichen Prüfung (einschließlich FBI-Hintergrundcheck) geht der Antrag an den Justizminister, das Office of White House Counsel und schließlich entscheidet der Präsident über Annahme oder Ablehnung.

Der zweite Weg, den Trump bevorzugte, ist viel lockerer. In seiner ersten Amtszeit folgte er oft Empfehlungen von Prominenten wie Kim Kardashian oder Sylvester Stallone, übersprang Wartezeiten und Hintergrundprüfungen und unterzeichnete Begnadigungen bei großen Zeremonien.

Die meisten Präsidenten nutzen beide Wege, aber besonders umstrittene Begnadigungen werden meist direkt an den Präsidenten herangetragen.

Ein Grund, die Bürokratie zu umgehen: Während Bidens Amtszeit stieg der Rückstau an Begnadigungsanträgen auf ein Rekordhoch, erst kurz vor seinem Ausscheiden reduzierte er durch eine Sammelgenehmigung den Rückstau wieder auf das Niveau vor Trumps Amtszeit.